“Von der Unternehmensberaterin zur Tischlermeisterin” – Interview mit Kathrin Martin

Folge: 12

Kathrin Martin hatte einen tollen Job als Unternehmensberaterin. Nach einigen Jahren mit häufigem Pendeln und hohen Anforderungen kam es zum ersten Burnout. Als wenige Jahre später ein zweiter Burnout dazu kam, krempelte sie ihr komplettes Leben um. Sie machte im Alter von 40 Jahren eine Ausbildung zur Tischlerin und wurde danach Mit-Geschäftsführerin im Ausbildungsbetrieb. Im Gespräch verrät Kathrin wie es danach weiterging, welche Herausforderungen dieser Berufswechsel mit sich brachte und warum es sinnvoll sein kann, auch mit 40 noch eine komplett neue Karriere zu starten.

Inhalt

Podcast auf allen Plattformen

Hier findest du “Mehr Mut zum Glück” auf allen Plattformen zum Download

Überblick Interview Katrin Martin

Mit dieser Podcast-Folge gehe ich zurück zu meinen Anfängen als Podcaster. 2015 hörte ich häufig den Glückfinder-Podcast von Andreas Gregori. In Folge 25 war er dann auch in einem Mixtape-Interview im Finanzrocker-Podcast zu hören. Wir unterhielten uns dort über die wirklich sehr spannenden Geschichten seiner Gäste. Eine davon: Die Geschichte von Tischlerin Kathrin Martin.
Seitdem stand Kathrin Martin auf meiner Liste für Wunschgäste im Podcast. Fünf Jahre lang hat es thematisch nicht gepasst, aber für “Mehr Mut zum Glück” ist es die perfekte Geschichte.
Kathrin erzählt im Interview über ihre Arbeit als Unternehmensberaterin, wie es zu den Burnouts kam und warum sie dann mit knapp 40 eine handwerkliche Ausbildung begonnen hat.
Darüber hinaus sprechen wir über ihren Weg zur Tischlermeisterin, welchen Einfluss Corona auf ihr Geschäft hatte und warum es richtig sein kann, seine Karriere mit 40 nochmal ohne Theater neu zu starten.
Eine Zusammenfassung des Gesprächs findest du weiter unten.

Weitere Infos

Zusammenfassung Interview mit Kathrin Martin

Deine Geschichte spiegelt ja den Titel des Podcasts sehr gut wieder. Mich würde aber zuerst interessieren, was Dir Glück überhaupt bedeutet?

Glück sind oft die kleinen Dinge. Gerade in der aktuellen Situation lernen wir das Beste aus dem zu machen was wir haben. Große Pläne sind für mich aktuell zu weit weg.

Du hast viel Zeit und Geld in Deine Ausbildung und Dein Humankapital investiert, um einen lukrativen Job zu bekommen. Was war denn während Deines Studiums Dein Traumjob?

Selbst während meines BWL-Studiums war kein Job im BWL-Bereich mein Traumjob, sondern die heimliche Liebe lag eher im Bereich Medizin und Chirurgie.

Nach dem Studium bist Du Unternehmensberaterin bei einer großen Unternehmensberatung geworden. Wie kann ich mir Deinen Arbeitsbereich vorstellen?

Sehr abwechslungsreich. Anfangs habe ich mir das so vorgestellt, dass wir von anderen Unternehmen die Prozesse anschauen und optimieren. Die Praxis war dann völlig anders und ich musste Programmieren lernen.

Insgesamt 17 Jahre hast Du dort gearbeitet, aber die hohe Arbeitsbelastung forderte ihren Tribut. Was ist damals genau passiert?

Das Problem war dass ich zu lange mit Widerwillen an einer Sache gearbeitet habe, an der gar nicht mein Herz hing. Der Burnout hat sich in totaler Erschöpfung gezeigt.

Nach dem ersten Burnout kam noch ein zweiter hinzu. Wie bist Du damit umgegangen, denn ich vermute, dass so ein Burnout gerade in der Branche als Schwäche gesehen wird?

Ich hatte das Glück sehr verständnisvolle Chefs zu haben, die mir auch Hilfe angeboten haben. Zu der Zeit war die Branche bereits im Umbruch, also Burnout keine Schwäche mehr.

Du warst zu dem Zeitpunkt schon über 40 Jahre alt als Du die Entscheidung gefasst hat, dass es so nicht mehr weiter geht. Wie bist Du dann vorgegangen, um nach Alternativen zu suchen?

Damals war ich noch der Meinung, dass das nach 5-6 Wochen Ausruhen und Nichtstun wieder geht und bin wieder zurück in die Unternehmensberatung gegangen. Dann kam aber der zweite Burnout, bei dem ich in der Klinik gelandet bin und ich habe verstanden, dass ich mir ernsthaften Schaden zufüge, wenn ich so weiter mache.

Auch dem Unternehmen wurde klar, dass ich nicht zu alter Leistung und Leistungsbereitschaft zurückkehren würde. Sie haben mir also einen Aufhebungsvertrag angeboten, den ich auch angenommen habe. Im Grunde wurde mir die Entscheidung abgenommen.

Ich hab die ersten Monate dazu genutzt mal runterzukommen, meinen Blick zu weiten und Dinge zu tun, die ich schon immer mal machen wollte. NLP-Kurse, Gesangskurse und viele spannende Menschen treffen.

Wie bist Du dann ausgerechnet auf Tischlern gekommen? Dieser Job könnte ja nicht weiter vom Job als Unternehmensberaterin entfernt sein.

Ich wusste schon sehr lange dass meine Leidenschaft im handwerklichen Bereich liegt. In meinem Kopf hatte ich immer das Dogma, dass ich eine lange Schreiner-Ausbildung machen müsste, bevor ich damit eine Selbstständigkeit aufbauen kann.

Nach etwas tieferer Recherche und Gesprächen mit der Handwerkskammer stellte ich fest, dass es doch einfacher geht.

Du hast Dich dann für eine Ausbildung mit über 40 entschieden. Was hat Dir in der Situation die Sicherheit gegeben, einen kompletten beruflichen Neustart zu wagen? An so einer Entscheidung hängt ja eine ganze Menge – vor allem wenn man wie Du eine Familie hat.

Hätte ich das ordentlich durchgerechnet, wäre es wohl nicht dazu gekommen. Ich hatte die voller Unterstützung von meinem Mann.

Wie war das für Dich auf einmal, wieder mit ganz jungen Leuten die Schulbank zu drücken?

Alles zwischen lustig und extrem frustrierend. Wir sind super miteinander klargekommen. Zwei der jungen Männer haben es bis zum Schluss nicht hinbekommen mich beim Vornamen zu nennen und mich zu duzen.

Nach 18 Monaten hast Du als Jahrgangsbeste die Ausbildung sehr erfolgreich gemeistert. Was waren danach die nächsten Schritte?

Ich hab die Lehre in einem Unternehmen gemacht, bei dem klar war, dass ich direkt nach der Ausbildung in die Geschäftsleitung mit einsteige.

Für Dich und die Angestellten Deiner neuen Tischlerei war es ja eine komplette Umstellung. Wie war das für Dich und wie hast Du diese Umstellung gemeistert?

Ich war ja nicht der Standard-Lehrling und habe mich schon während der Ausbildung in der Geschäftsführung eingebracht. Von daher war der Umstieg nicht so groß, höchstens auf dem Papier.

In den letzten Jahren der Unternehmensberatung hatte ich mich auf Prozess- und Projektmanagement spezialisiert. In einem Handwerkerbetrieb passiert das alles auf einer viel kleineren Ebene, aber mein betriebswirtschaftliches Denken hat sehr geholfen, zu erkennen welche Projekte sich finanziell lohnen.

Wieso hast du dich dann entschieden noch die Meister-Prüfung abzulegen?

Ich wollte in dem Betrieb einige Dinge modernisieren, umstrukturieren und zum Teil auch digitalisieren. Das ist, verständlicherweise, auf viel Widerstand bei denen gestoßen, die schon lange dort arbeiteten. Deshalb hatte ich mich entschieden meine eigene Firma zu gründen und dafür brauche ich den Meister-Schein.

Eine andere Schreinerei suchte dann aus Altersgründen einen Nachfolger, die ich als alleinige Geschäftsführerin übernommen hatte.

Ist Deine Tischlerei spezialisiert auf bestimmte Bereiche?

Genau, anfangs haben wir auch noch Fenster und Türen gemacht, mittlerweile sind wir eine reine Möbel-Schreinerei.

Letztes Jahr kam dann noch die Corona-Pandemie hinzu. Welchen Einfluss hatte sie auf Dich und die Tischlerei?

Schon ab Februar 2020 gab es Auftragseinbuße. Ein Großteil unserer Kunden sind Kindergärten und Schulen. Ich habe alle angeschrieben und an die noch offenen Projekte erinnert, die wir mal umsetzen wollten, aber die wir aus Zeitgründen nicht beendet haben. So wurde das Jahr 2020 sogar umsatzstärker als 2019 und wir sind bis Mai 2021 vollständig ausgebucht.

Welche Deiner Eigenschaften haben dazu geführt, dass die berufliche Neuorientierung so gut funktioniert hat?

Durchhaltevermögen, Neugierde, Strukturiertheit (zumindest einen groben Plan).

Es gibt sehr viele Menschen, die mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden sind. Ein Großteil davon wird der Meinung sein, dass eine berufliche Neuorientierung mit 40 nichts mehr bringt. Was entgegnest Du solchen Leuten? 

Wenn man davon ausgeht das viele nach dem Studium erst Mitte 20 ins Berufsleben starten, hat man mit 40 ja nicht mal die Hälfte der Berufszeit rum. Es war für mich undenkbar mindestens die gleiche Zeit in einem Umfeld zu verharren, welches mir keine Freude bereitet.

Der größte Faktor damit die Umstellung gelingt, ist der Mut, das anzugehen. Mit 40 sind die meisten in einem relativ festgesetzten Leben mit Kindern und  Haus. Man muss abwägen was einem da wirklich wichtig ist. Aber wenn einen die äußeren Faktoren so glücklich machen, dann wäre man wohl nicht an dem Punkt über eine Umstellung nachzudenken.
Ich habe bei der Umstellung festgestellt, wie wenig Geld ich wirklich brauche, um ein anständiges Leben zu führen.

Was sind denn die „Do’s und Dont’s” bei so einem kompletten Berufswechsel? Es ist ja auch nicht gesagt, dass man danach glücklicher ist als vorher.

Ich war mir sehr sicher, dass mich das Tischlern glücklicher macht, weil ich das ja schon vorher in meiner Freizeit gemacht habe.

Was ich zu Beginn unterschätzt habe: Als Geschäftsführerin sitzt man ja doch viel am Schreibtisch und wenig an der Werkbank. Das, warum ich diese Umstellung gemacht, kam also ziemlich kurz. Also habe ich eine Person eingestellt, die mich im Büro unterstützt, damit ich 1-2 Tage an der Werkbank stehen kann.

Welche Zukunftsziele hast Du?

Mein Mann und ich haben den Traum längere Zeit zu reisen und auch längere Zeit an einem Ort zu bleiben und an dem Leben dort teilzuhaben.

Momentan weiß ich noch nicht wie ich das Reisen mit der Tischlerei vereinen kann. Denn es braucht noch einige Jahre bis sich meine Investitionen wieder auszahlen werden.

Der Inbegriff von Freiheit ist Reisen ohne Rückkehrdatum. Deswegen möchte ich das unbedingt mal machen.

Zum Abschluss würde ich gern noch das obligatorische Wordshuffle machen. Ich nenne Dir unterschiedliche Begriffe und Du sagst, was Dir dazu einfällt. 

Feinschliff

Dinge die eh schon gut sind noch den letzten Pfiff geben, der dann den Unterschied macht.

Digitalisierung

Im Handwerk ist das gerade ein großes Thema. Wir können durch Digitalisierung die Bearbeitungszeiten verkürzen.

Verantwortung

Empfinde ich oft als Belastung. Ich arbeite daran nicht zu viel Verantwortung für andere übernehmen zu wollen. Gerade die jungen Leute in der Tischlerei suchen die Verantwortung gerne beim anderen. Ich plädiere für mehr Eigenverantwortung.

Frankfurt

Liebe auf den dritten Blick. Nach dem Studium bin ich aus Job-Gründen hier her gezogen. Mittlerweile habe ich so viele Ecken zu schätzen gelernt. Der Main, der Taunus, das Rheintal und die gute Infrastruktur.

Geld

Nicht entscheidend wie gut es einem geht. Aber wenn‘s knapp ist, merkt man wie viel Beruhigung es einem schenken kann. Wenn ich wirklich Geld brauche, ist es bisher immer „aufgetaucht“ beispielsweise von einer Steuerrückzahlung.

Zukunft

Extrem spannend, vor allem zur Zeit, weil so vieles auf den Kopf gestellt wird. Ich bin jemand der nur nach vorne und kaum in die Vergangenheit schaut.

Mut

Mut ist einer der wichtigsten Eigenschaften um voran zu kommen. Mut zur Veränderung, Mut was Neues auszuprobieren und Mut auch mal zu „Scheitern“. Mut ist die Voraussetzung für Entwicklung.

“Mutig zu sein wird oft mit Glück belohnt” – Interview mit Unterwasserfotograf Tobias Friedrich

Weitere Interviews

“Eine schwere Krise hat mir geholfen, dankbarer und positiver zu werden!” – Interview mit Dominik Spenst

“Die geilste Lücke im Lebenslauf” – Interview mit Nick Martin

“Vom geplatzten Traumberuf über den zweiten Bildungsweg zur Ärztin” – Interview mit Silke Rosenbusch

“Im Leben lohnt es sich Unwägbarkeiten zuzulassen” – Interview mit Podcaster Erik Lorenz von Weltwach

“Meine Ängste haben mich nicht von meinem Lebenstraum abgehalten!” – Interview mit Sarah Bauer

3 Antworten

  1. Hi Daniel!

    Danke für die sehr inspirierende Folge und die Einblicke in den Lebensweg von Kathrin. Finde es bewundernswert und konsequent, sich nochmal komplett neu zu orientieren. Vor allem beglückwünsche ich sie, diese weitreichende Entscheidung getroffen zu haben, von fremd- zu selbstbestimmt. Im Interview sprach sie ja den Wunsch in jungen Jahren vom Medizinstudium an, der durch die Empfehlung “Was ordentliches zu machen” fallen gelassen wurde.

    Hilfreich war bei Kathrin sicher der solide Unterbau mit dem Wissen aus dem Studium und der Erfahrung als Unternehmensberaterin. Gleichzeitig hat sie einen markanten Punkt angesprochen. Wenn man durch Konsumgewohnheiten und abzuleistende Kredite zu viele Verpflichtungen zu bedienen hat, lässt sich solch eine Option nur schwerlich ziehen.

    Beste Grüße

    Mark

  2. Hallo Daniel,

    ich frage mich, ob möglicherweise ein technisches Problem bei der Einbindung des Podcastspielers besteht? In dem grauen Kasten zwichen Zusammenfassung und Inhalt befindet sich nur ein Link zur Datenschutzerklärung von Podigee, aber nicht wie vermutlich beabsichtigt der Player.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Podcast Folgen

Olaf Obsommer hat einen bewegten Lebenslauf. Seine Leidenschaft für das Paddeln bekam er von seiner Mutter in die Wiege gelegt. Nach einer nicht erfüllenden Ausbildung arbeitete Olaf in der Altenpflege. Nebenbei absolvierte er aufwendige Wildwasser-Kajak-Touren. Daraus entwickelte er sich zum Expeditionsleiter vom Adidas-Sickline-Team. Seine Geschichte erzählt Olaf bei “Mehr Mut zum Glück”.